Commoning oder Marktwirtschaften?

Commoning oder Marktwirtschaften?

Meine ersten Erfahrungen mit dem Commons-Atelier illustrieren eine Problematik des Commoning: Viele Menschen tun sich schwer, das Prinzip und die Motivation dahinter zu verstehen. Zu sehr sind wir alle in eine Gedankenwelt verheddert, in der jede Handlung das Ziel haben muss “selbst davon zu profitieren”, andernfalls wirkt eine Handlung suspekt – also verdächtig.

Vor dem Commons-Atelier stehen zwei Bistro-ähnliche Tische und ein paar Stühle. Radwanderer entlang des Jagsttal-Radwanderwegs nutzen diese Tische und Stühle gern für eine Rast, zumal das noch existierende Café am Platz aus Rentabilitätsgründen nur noch Kaffee in Pappbechern ausschenkt, aber keine Sitzplätze mehr im Freien anbietet, da dies vermutlich zusätzliches Personal zum auf- und abräumen erforderte.

So kommt es schon einmal vor, dass sich Menschen hinsetzen und bei mir einen Kaffee bestellen – den sie auch bekommen, mit Keksen, falls ich da bin und Kekse habe. Wenn es dann ans Bezahlen geht machen alle erstaunte Gesichter.

“Wie? Man kann nicht bezahlen hier? Ach, das ist privat?”

Die Leute wollen aber bezahlen und scheinen nicht zu glauben, dass es mir Spaß macht, sie zu bewirten – falls ich gerade dazu aufgelegt bin. Die meisten bestehen aufs Bezahlen und legen dann in die für solche Notfälle existierende Spendenschachtel manchmal mehr Geld, als der Kaffee nebenan im Café kosten würde. Nichts zu bezahlen scheint sich irgendwie falsch anzufühlen.

Eine ähnliche Erfahrung mache ich mit dem Gästezimmer. Seit Jahren biete ich eine kostenlose Unterkunft auf “Couchsurfing” an, aber nur ein einziges Mal meldete sich eine Pilgerin auf dem Weg nach Santiago de Compostella. Dann bot ich das Zimmer auch auf einer bekannten kommerziellen Plattform zur Vermittlung von Unterkünften an, für den niedrigsten dort einstellbaren Preis: 10 Euro pro Nacht. Weniger als 10 Euro geht bei dieser Plattform nicht.

Das Resultat: Ich konnte mich vor Anfragen kaum retten. 10 Euro pro Nacht sei viel zu billig, hörte ich oft. Ich dachte: 300 Euro Monatsmiete für ein kleines Zimmer ist ZU BILLIG???? Ist die Welt von allen guten Geistern verlassen?

Meine seltsame Einstellung verursachte dann aber Probleme, denn ich wollte ja keine Dauermieter, sondern Wandergäste, die einen Unterschlupf für eine oder vielleicht zwei Nächte suchen. Stattdessen meldeten sich immer mehr Wanderarbeiter, die beim nahen Logistikzentrum beschäftigt sind und eine günstige Bleibe auf Dauer suchen.

Die einzige Möglichkeit dies zu verhindern ist bei der kommerziellen Plattform eine Funktion, die nennt sich “intelligente Preisgestaltung”. Sie wird folgendermaßen beschrieben:

Mit der intelligenten Preisgestaltung kannst du deine Preise so anpassen, dass sie entsprechend der Nachfrage nach Inseraten ähnlich wie deinem automatisch steigen oder sinken.

Es galt also als intelligent, den Preis des Gästezimmers nicht entsprechend seines Gebrauchswerts und den für mich durch die Beherbergung entstehenden Aufwands zu berechnen, sondern im Gegenteil es davon zu lösen und nur an das Prinzip “Angebot und Nachfrage” zu koppeln. Dadurch könne ich meinen Profit optimieren, so die Idee.

Wir kennen das Prinzip ja vom Benzinpreis an der Tankstelle, den Flugpreisen, Hotelbuchungen und allem anderen, bei dem sich dieser Algorithmus lohnt.

In meinem Fall war dies ein Problem, denn ich wollte meinen Profit ja gar nicht optimieren, da ich das Prinzip der Nachfrage-bedingten Teuerung für falsch halte und es meinen ethischen Vorstellungen widerspricht. Ich möchte Gäste, die – wenn sie möchten – einen kleinen Unkostenbeitrag leisten, sich bei mir wohlfühlen und am nächsten oder übernächsten Tag gut gelaunt weiterwandern und den schönen Aufenthalt in Neudenau lange und gut in Erinnerung behalten.

Bei der bekannten Vermittlungsplattform geht das nicht. Da diese an jeder Vermittlung verdient wird sie unwirsch, wenn man Anfragen zu oft ablehnt und die Anfrager kümmerten sich nicht um meine Bitte, nur kurzfristige Aufenthalte anzufragen. Die Plattform wurde pampig und ich löschte mein Angebot.

Dieses Beispiel zeigt sehr schön, was ich unter Commoning verstehe. Die Kernfrage ist dabei für mich: Was können meine Gäste beitragen, um mir zu ermöglichen mein Gästezimmer mit ihnen zu teilen?

Das klingt wie eine einfach Frage, ist aber komplex. Denn ich bin kein altruistischer Jesus, der alle Menschen liebt. Auch mir gehen Dinge auf den Wecker und manche Leute auf den Geist und solche Leute möchte ich nicht in meinem Haus haben. Und ich verschenke auch kein Geld, es sei denn aus einem besonderen Grund oder zu einem besonderen Zweck. Wir (also die Gäste und ich) müssen uns also auf Regeln einigen, zur Entwicklung und zum Erhalt des Commons-Ateliers beitragen und uns alle dafür verantwortlich fühlen, dass diese Beziehung zwischen uns dauerhaft funktioniert. Das ist schwieriger als gedacht, denn man hat uns Marktwirtschaften so in unser Gehirn eintrichtert, dass wir misstrauisch werden, wenn ein Mensch seinen Nutzen nicht maximieren und seinen Profit nicht optimieren will. Denn da kann doch irgend etwas nicht stimmen. Das ist verdächtig!

Inzwischen versuche ich’s wieder über Couchsurfing und hin und wieder mit Erfolg.

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